Nach dem Zweiten Weltkrieg war man nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Ländern jahrzehntelang nicht an den Erzählungen der Überlebenden des Holocaust interessiert. Ende der 1970er Jahre kam es zu einem Umdenken in der Gesellschaft. HistorikerInnen und SoziologInnen begannen sich für ZeitzeugInnen zu interessieren. Sie zeichneten ihre Erzählungen auf Tonbändern und Videos auf.
Jetzt sind die jüngsten ZeitzeugInnen schon 80 Jahre und älter. Das heißt, wenn wir noch an den Erfahrungen dieser Menschen teilhaben wollen, bleibt nicht mehr viel Zeit. Bald wird es keine ZeitzeugInnen mehr geben, die über ihre Erlebnisse in der Nazizeit aus erster Hand berichten können. Sie waren Kinder oder Jugendliche, als sie vor den Nationalsozialisten fliehen mussten. In den Interviews erzählen sie über den Verlust der Heimat und von geliebten Familienmitgliedern, aber auch über ihren Neuanfang in der neuen Heimat. Beim Erzählen erinnern sie sich an für sie sehr schwierige Ereignisse in der Kindheit oder Jugend. Das ist emotional und auch körperlich anstrengend für die ZeitzeugInnen. Dies zeigt sich in ihrer Mimik, Gestik, in ihrer Körperhaltung. Es ist für sie oft sehr herausfordernd, Worte für Erfahrungen zu finden, die sie tief verletzt, verstört, aus der Alltagsnormalität herausgerissen haben. Dass sie trotzdem bereit sind, mit uns ihre Erinnerungen zu teilen, ist also keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk.
Ein Interview vor einer Kamera in Anwesenheit von Menschen, die man nur von Telefonaten oder Emails kennt, ist ebenfalls keine alltägliche Situation. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass Deutsch die Sprache ihrer Kindheit und Jugend ist. Seit Jahrzehnten sprechen sie Englisch oder Hebräisch. Die meisten haben wenig Gelegenheit, sich in ihrer Muttersprache zu unterhalten. Trotzdem sprechen im Interview alle ZeitzeugInnen bis auf zwei Deutsch.
Die ZeitzeugInnen berichten von schmerzhaften Erfahrungen, die sie als Kinder oder Jugendliche während der Nazizeit gemacht haben. Manche von ihnen haben, bevor sie von uns interviewt wurden, gar nicht oder sehr wenig über ihre Erlebnisse gesprochen, einigen von ihnen war es wichtig, ihren Familien, aber auch HistorikerInnen diese Erinnerungen weiterzugeben.
Wie die Interviewten heute im Erzählen auf diese Erlebnisse schauen, hat auch damit zu tun, wie ihr weiteres Leben verlaufen ist. Die in ihrer Kindheit oder Jugend erlebten Brüche wurden aufgearbeitet, geheilt, überbrückt, verdrängt oder verschüttet.