Alte Heimat / Schnitt / Neue Heimat

10 ZeitzeugInnen mit Innsbrucker Wurzeln erzählen über ihr Leben in Österreich vor 1938, von Verfolgung und Vertreibung durch die Nationalsozialisten, ihre Flucht und ihr Leben in England und Israel.

Die Zahl der Menschen, die über ihre Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vertreibungspolitik berichten können, wird immer kleiner. Die Kinder und Jugendlichen von damals sind jetzt zwischen 80 und 95 Jahre alt. Daher hat sich ein Projektteam unter der Leitung von Horst Schreiber 2010, 2012 und 2013 nach England und Israel aufgemacht, um Menschen zu interviewen, die als Kinder und Jugendliche wegen ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten vertrieben wurden. Unsere zehn GesprächspartnerInnen haben ihre Kindheit und Jugend in Innsbruck verbracht oder weisen über die Familien ihrer Eltern ein nahes Verhältnis zur Stadt Innsbruck auf.

Wir denken, dass Lernen aus der Geschichte leichter fällt, wenn man sich mit den Erzählungen von Menschen beschäftigt, die aus der eigenen Region, der eigenen Stadt stammen.

Die Zeit des Nationalsozialismus hat das Leben der ZeitzeugInnen tief geprägt. Unser Interesse galt jedoch nicht nur ihren Erfahrungen während der Nazizeit, sondern ihrer gesamten Lebensgeschichte. Denn die Beschränkung auf die Zeit von 1938 bis 1945 würde den ZeitzeugInnen nicht gerecht werden, würde sie nur als Opfer zeigen und nicht als aktive GestalterInnen ihres Lebens. Auf diesen Zusammenhang macht der Projekttitel „Alte Heimat / Schnitt / Neue Heimat“ aufmerksam.

Die ZeitzeugInnen berichten über ihr Familienleben, ihre Einstellung zum jüdischen Glauben, ihre Erlebnisse in der Schule und in der Freizeit, im Besonderen über ihre Erfahrungen von Ausgrenzung, Diskriminierung und Vertreibung. Sie erzählen, was es bedeutet, die Heimat zu verlieren, fliehen zu müssen und mit dem Verlust naher Verwandter umzugehen. Sie schildern, wie die Menschen in der neuen Heimat auf sie als Flüchtlinge reagierten, unter welchen Mühen es ihnen gelang, sich ein neues Leben aufzubauen, beruflich Fuß zu fassen und welchen Blick sie heute auf Innsbruck, Tirol, Österreich und seine Menschen werfen.

Wie kann man über so belastende Erfahrungen von Entwurzelung und der Ermordung geliebter Menschen sprechen, wie findet man dafür Worte in der Familie und gegenüber den Mitgliedern des Projektteams. Eines gilt es bei den Erzählungen der ZeitzeugInnen speziell zu berücksichtigen: Deutsch ist die Sprache ihrer Kindheit und Jugend, seit Jahrzehnten sprechen sie Englisch oder Hebräisch. Die meisten haben wenig Gelegenheit, sich in ihrer Muttersprache zu unterhalten. Trotzdem sprechen im Interview alle ZeitzeugInnen bis auf zwei Deutsch.

Irmgard Bibermann hat aus den Video-Interviews mit den ZeitzeugInnen folgende Materialien erstellt: Elf Kurzfilme erschließen die Erfahrungen der ZeitzeugInnen nach Themen geordnet. Einen weiteren Zugang bieten die biografischen Portraits. Die Kurzfilme wie auch die Portraits spannen den Bogen von der Kindheit in Tirol über die erzwungene Emigration bis zum gegenwärtigen Leben in der neuen Heimat. Die Transkripte aller Videosequenzen, Fotogalerien und detaillierte Unterrichtsvorschläge ergänzen das Materialienangebot.